Wo Computer menschliche Gefühle beachten

Um den Flugverkehr noch sicherer zu machen, wird am Kompetenzzentrum „Virtual Humans“ der TU Chemnitz die Arbeitsweise und emotionale Belastung von Fluglotsinnen und Fluglotsen erforscht

Jeder, der in ein Flugzeug steigt, möchte sicher ans Ziel kommen. Neben den Pilotinnen und Piloten sind dafür etwa 2.000 Fluglotsinnen und Fluglotsen der Deutschen Flugsicherung verantwortlich. Sie koordinieren etwa drei Millionen Flugbewegungen pro Jahr und sorgen dafür, dass Flugzeuge sicher geführt werden und sich nicht zu nahe kommen. Da das Flugaufkommen immer weiter steigt, erhöht sich auch die Belastung der Fluglotsinnen und Fluglotsen, die sich ohnehin schon keinen Fehler leisten dürfen. Forschende des Kompetenzzentrums „Virtual Humans“ der Technischen Universität Chemnitz arbeiten deshalb daran, die Arbeit im Bereich der Flugüberwachung noch sicherer zu machen. Im Projekt „MACeLot“ untersuchen sie die kooperative Arbeit von Fluglotsinnen und -lotsen und deren Belastung am Arbeitsplatz. Mit verschiedenen Messinstrumenten wird die emotionale Belastung, also der Stresslevel, abgeschätzt. „Steht beispielsweise ein Fluglotse zu stark unter Stress, soll das Assistenzsystem eine Warnung an den diensthabenden Supervisor senden“, erläutert Projektleiter Prof. Dr. Guido Brunnett, Sprecher des Kompetenzzentrums „Virtual Humans“. Der Supervisor könne sofort entsprechend eingreifen und den Fluglotsen entlasten – beispielweise über eine Unterstützung durch benachbarte Kontrollsektoren.

Computer lernen, was Stress ist

Foto: Schiphol Control Tower, Danbu14, Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Doch wie kann die kognitive und emotionale Belastung durch ein Computersystem zuverlässig erkannt werden? Die Chemnitzer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen dabei interdisziplinär vor: Psychologinnen und Psychologen erforschen die Arbeitsweise der Fluglotsinnen und Fluglotsen. Mit Hilfe einer Blickverfolgungsbrille messen sie deren Pupillengröße und mit einem Armband die Hautleitfähigkeit. Beides sind gute Indikatoren für Stress. Und Informatikerinnen und Informatiker untersuchen die Körperhaltung, den Gesichtsausdruck und die Sprache der Fluglotsinnen und Fluglotsen, um daraus emotionale Zustände abzuleiten. „Wir Menschen haben oft schon Schwierigkeiten, die Stimmung unseres Gegenübers richtig einzuschätzen und greifen auf unsere Erfahrung zurück – und so müssen wir auch die Computer entsprechend trainieren“, sagt Brunnett. Damit der Computer eine zuverlässige Einschätzung trifft, müssen in das Programm viele Beispiele an Körperhaltungen, Gesichtsausdrücken oder Audioaufnahmen eingebracht werden, die mit Emotionen in einem Zusammenhang stehen. „Auf Grundlage sämtlicher erfasster Daten wurde ein Modell zur Berechnung der kognitiven und emotionalen Belastung von Fluglotsen abgeleitet und in ein prototypisches Assistenzsystem integriert“, berichtet Brunnett. Dieses Assistenzsystem zeige dem Supervisor die aktuelle Belastungssituation der Fluglotsen an und liefere ihm dadurch Entscheidungshilfen zur Abwendung von Überlastsituationen.

In Gefahrensituationen die Übersicht behalten

Aus ihrer Forschung haben die Chemnitzer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch Vorschläge für ein neues Design der Arbeitsumgebung erarbeitet. So fand die Doktorandin Linda Pfeiffer auf der Basis von Interviews mit Fluglotsinnen und Fluglotsen heraus, welche Darstellung der Elemente auf dem Display im Kontrollzentrum am effektivsten ist. „Ein von uns empfohlenes Interface bietet eine bessere Übersicht in Gefahrensituationen, da es zentrale Informationen hervorhebt“, erläutert Pfeiffer.

Solche Untersuchungen und Verbesserungsvorschläge sind auch für den Projektpartner, die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH, von großem Interesse. „Die Erfassung des Zustandes des Lotsenteams mittels einer geeigneten Sensorik erschließt völlig neue Möglichkeiten, die Arbeitsbelastung zu steuern und zu begrenzen“, sagt Jörg Buxbaum, Leiter des Forschungsteams Air Traffic Management bei der DFS. Neuerungen in den betrieblichen Lotsenalltag einzuführen, sei allerdings sehr anspruchsvoll, da sie strenge Sicherheitstests durchlaufen müssen und in diesem Fall auch Persönlichkeitsrechte zu betrachten sind. Eine Möglichkeit, von den Forschungsergebnissen bald zu profitieren, gibt es dennoch: „Die entwickelten Methoden könnten wir zunächst in Entwicklungen und Trainings am Simulator einsetzen“, sagt Buxbaum und fügt hinzu: „Wir haben deutliche Hinweise, dass wir dadurch die kognitive und emotionale Belastung besser erheben können als zum Beispiel rein mit der Abfrage der Belastung bei den Lotsen selber.“

Stichwort: Kompetenzzentrum „Virtual Humans“

Das Kompetenzzentrum „Virtual Humans“ der Technischen Universität Chemnitz ist seit 2011 Impulsgeber im Forschungsschwerpunkt „Mensch und Technik“ und bündelt die Expertise zu digitalen Menschmodellen an der TU. Am Zentrum arbeiten Forscherinnen und Forscher stark vernetzt an interdisziplinären Themen. „Digitale Menschmodelle, die eine entsprechend hohe Komplexität aufweisen, sind ein zentraler Bestandteil emotionssensitiver Assistenzsysteme“, erläutert Brunnett. Weitere Anwendungsgebiete digitaler Menschmodelle sind zum Beispiel die Mensch-Maschine Interaktion und die Simulation individueller Menschmodelle in der virtuellen Realität. „Auch bei fortschreitender Digitalisierung und Technisierung wird der Mensch ein zentraler Faktor im technischen Fortschritt bleiben. Daher arbeiten wir daran, unsere digitalen Menschmodelle so zu konzipieren, dass sie menschliche Emotionen erkennen können und entsprechend handeln“, erläutert der Leiter des Kompetenzzentrums. Digitale Menschmodelle helfen Maschinen, auf die Gefühle der Menschen Rücksicht zu nehmen. https://www.tu-chemnitz.de/forschung/virtual_humans/

Hintergrund: Die Bundesregierung förderte von 2015 bis 2018 Projekte, die sich einer zentralen Herausforderung von Assistenzsystemen stellen: Technische Systeme müssen sich der Komplexität der menschlichen Kommunikation, die durch emotionale und soziale Botschaften bestimmt sind, annähern. Das Projekt „MACeLot“ ist eines der geförderten Projekte und wurde mit rund 1,7 Millionen Euro unterstützt. Vom 31. Januar bis 2. Februar 2018 stellten die Chemnitzer Forscherinnen und Forscher ihre Projektergebnisse in Bonn der Öffentlichkeit und Vertretern des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vor.

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